HSU

Die Humanistische Studentenunion – HSU –

Ein wesentliches Postulat im Programm der Humanistischen Studenten-Union war die »offene Gesellschaft« in Anlehnung an Karl Popper. Kritische Aufklärung sollte gegen idealistisch utopisches Denken mobilisiert werden, der Kampf um Selbstbefreiung des Individuums aus seiner »selbstverschuldeten Unmündigkeit« stand ganz im Sinne der Popperschen Kant-Rezeption im Mittelpunkt des Aktionsfeldes der HSU. Nach dem liberalen Prinzip der Wahrheitsannäherung durch Kritik nahm sich die HSU all jene politischen Untersuchungsfelder vor, in denen die für jedes falsifizierende oder verifizierende Vorgehen des kritischen Geistes notwendige »offene Gesellschaft« durch »geschlossene« Systeme ersetzt werden sollte. Die HSU dürfte mit ihrer Gründung im Dezember 1964 historisch als studentische Gegenbewegung gegen die in Ludwig Erhards Kanzlerschaft (1963- 66) in Umlauf gesetzte normative Zielvorgabe einer »fomierten Gesellschaft« zu verstehen sein.“ Dies ist die authentische Interpretation von Klaus Kreppel, der 1967 bis 1968 politischer Referent des AStA unter den beiden Vorsitzenden Peters und Birkholz war und zudem das Amt des Bundesvorsitzenden der HSU inne hatte.

Das Grundsatzprogramm der HSU

„Humanismus“ kann sich nicht darauf beschränken, begrenzte Freiheitsspielräume für den einzelnen zu schaffen, in die er sich vor dem Druck der Gesellschaft zurückziehen kann. Freiheit bedeutet gesellschaftliche Freiheit. Die Ermittlung der dazu erforderlichen Bedingungen ist weniger durch Kundgabe individueller Meinungen zu leisten als vielmehr durch rationale gesellschaftliche Analyse. Pluralistische Konzeptionen stehen dem entgegen. Sie räumen allen Meinungen und Entscheidungen einzelner Individuen oder Gruppen gleiches Gewicht ein, ohne deren gesellschaftliche Bedingtheit zu reflektieren. Wird an. pluralistischen Konzeptionen festgehalten, verstärken sie das bestehende Herrschaftsgefälle, anstatt der Repression dienende Mechanismen abzubauen. Begreift man Humanisinus als Durchsetzung gesellschaftlicher Freiheit, dann ist damit „Pluralismus“ unvereinbar.

  1. Die Struktur der kapitalistischen Gesellschaft verhindert die Entwicklung der Demokratie. Der Integration immer größerer Bevölkerungsteile in den entfremdenden Produktionsprozeß entspricht eine gleichläufige Ausweitung der Konsumtions-
    sphäre, welche das Begreifen der Abhängigkeit im Produktionsprozess durch den Schein der Konsumfreiheit verhindert. Unter diesen Umständen ist der Parlamentarismus ein liberalistisch kaschiertes Ritual zur Verschleierung der tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse. – Wir treten ein für die Enteignung der gesellschaftlich determinierenden Produktionsmittel gemäß Art. 14 GG, weil der Widerspruch zwischen gesellschaftlich notwendiger Produktion und privater Aneignung sich für das Wohl der Allgemeinheit als schädlich erwiesen hat. Nur auf diesem Wege kann Demokratie entstehen.
  2. Die innere Gesetzlichkeit unserer hochindustrialisierten Gesellschaft führt zwangsläufig zur Expansion und dadurch zur Unterdrückung der unterentwickelten Länder. Damit hat sich der innergesellschaftliche Konflikt auf das Verhältnis zwischen den Völkern übertragen. Befreiungsbewegungen, die aus dieser Konfrontation entstehen, werden mit wirtschaftlicher, politischer und militärischer Macht niedergeschlagen. – Wir wenden uns gegen die rücksichtslose Durchsetzung der Interessen internationaler Wirtschaftskonzerne und die Außenwirtschafts- und Militärpolitik industrieller Großmächte, soweit sie dazu dienen, Klassenstrukturen zu stützen, die eine wirtschaftliche Entwicklung und politische Selbstständigkeit der Länder der dritten Welt verhindern.
  3. Der Absicherung der bestehenden Machtverhältnisse dient die Manipulation des Bewußtseins. Kritische Öffentlichkeit kann nicht entstehen, wo die Voraussetzungen für eine objektive Information fehlen. Vermittlung findet nicht statt. Meinungen entwickeln sich nicht in rationaler Diskussion, sondern werden vorgeprägt und über einseitig durchlässige „Kommunikationswege“ auf den einzelnen übertragen. – Wir verurteilen jede Art der Konzentration von Kommunikationsmitteln und fordern die Entflechtung und öffentliche Kontrolle der Pressekonzerne.
  4. In der BRD haben sich die Tendenzen zur Absicherung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse in der Notstandsgesetzgebung verdichtet. Die Formierung der Gesellschaft soll mit allen repressiven Maßnahmen vorangetrieben werden. Unter dem tarnenden Vokabular von Schutz und Vorsorge verbirgt sich das Arsenal für die Zerstörung demokratischer Ansätze. – Wir wenden uns entschieden gegen jede Einschränkung der Grundrechte. Vielmehr setzen wir uns ein für die Verwirklichung der im Grundgesetz von 1949 formal garantierten Rechte in einer nicht repressiven Gesellschaft.
  5. Das Recht erweist sich als willfähriges Instrument der allgemeinen Durchsetzung privatwirtschaftlich orientierter und insofern öffentlicher Kontrolle entzogener Verfügungsgewalt. Ideologisch bleibt es liberalistischen Konzepten von Staat und Gesellschaft verhaftet, praktisch hat es sich der Tendenz profitorientierter Produktion gefügt und beseitigt, was dem Akkumulationsprozeß des Kapitals abträglich erscheint. Deutlicher Ausdruck dieser Tendenz ist die Entwicklung der Strafjustiz.
    – Wir setzen uns dafür ein, das gesamte Strafrecht abzuschaffen und ein Maßnahmerecht zu entwickeln. Orientiert am objektiven Schaden für die Gesellschaft, soll es nur dem Schutz der Gesellschaft und der Resozialisierung dienen. Tatbestände — insbesondere des heutigen eigentumspolitischen und Sexualstrafrechts — sind neu zu definieren. Eine intensive Erforschung der gesellschaftlichen Bedingungen individuellen und kollektiven Fehlverhaltens ist erforderlich, um wirksamer Prophylaxe den Vorrang vor der Anwendung von Maßnahmen geben zu können.
  6. In der bestehenden Gesellschaft dient die Unterdrückung der
    Sexualität als Herrschaftsmittel. Auf Partialtriebe zurückgeworfene Individuen sind leichter manipulierbar als jene, die sich zum Primat der Genitalität über die Partialtriebe haben entwickeln können. Gerade dies versuchen direkter Zwang und Indoktrination repressiver Normen zu verhindern. – Wir fordern, nur solchen sexuellen Handlungen mit staatlichen Maßnahmen zu begegnen, die durch Gewalt, Drohung oder Täuschung, durch Ausnutzung Minderjähriger, Abhängiger oder Geistesschwacher zustandegekommen sind, und zwar nur insoweit sie dadurch zustande gekommen sind. Wir setzen uns dafür ein, durch Aufklärung jeder Diskriminierung der Sexualität entgegenzuwirken.
  7. Die offiziell angestrebte Reform des Bildungswesens in der BRD ist daran ausgerichtet, wirtschaftlich verwertbares Verfügungswissen bereitzustellen, nicht aber, kritische Reflexion der bestehenden Verhältnisse zu verstärken. Dem kommen die tradierten Bildungsmethoden entgegen, die Disziplin und Anpassung fordern und passiv-rezeptives Lernen voraussetzen. Der Grad der Bewährung an diesem Prinzip ist das Kriterium für Auslese und weitergehende Förderung. Autoritäre Erziehungsmethoden schaffen so erneut autoritäres Potential, das innerhalb des Bildungssystems überfällige Traditionsbestände in einer die herrschende repressive Ideologie stützenden Weise weitergibt. An den Hochschulen wird der anonym ausgeübte Anpassungszwang augenfällig: das Recht auf Bildung wird umgeformt zur gestrafften Ausbildung von Fachkräften für spezialisierte Berufe durch isolierte Einzelwissenschaften, die den gesellschaftlichen Konnex nicht suchen und nach ihren Methoden auch nicht finden können. So erfolgt die Integration. der Hochschulen in eine autoritäre Leistungsgesellschaft einerseits durch Festhalten an einem erstarrten partikularen Wissenschaftsbegriff, andererseits durch die Annäherung der Universitätsorganisation an die der industriellen Produktion. So wird der Anpassungsdruck der Arbeitswelt vorweggenommen, was eine rasche Überleitung der Studenten ins Berufsleben bewirkt. – Wir setzen uns deswegen für alle Reformen des Bildungswesens ein, welche daran ausgerichtet sind, mit technischem Verfügungswissen kritische Einsicht zu vermitteln, die humanistische, d. h. an Durchsetzung gesellschaftlicher Freiheit orientierte, Anwendung dieses Verfügungswissens gestattet.