Am Freitag, den 17.11.1967, bereitet der SDS Frankfurt mit einem Flugblatt seine erste spektakuläre Aktion in der Frankfurter Universität vor, mit der dann die internen Unruhen eingeleitet werden. Zunächst bezieht sich der SDS auf das Manifest der Hochschulen gegen die Notstandsgesetze. Er erinnert er daran, dass Carlo Schmid als Bundestagsabgeordneter und als Bundesratsminister für die Verabschiedung der Notstandsgesetze ist.
Ab dem Wintersemester 1967/68 ist Carlo Schmid mit Erreichen der Altersgrenze emeritiert, jedoch auch in diesem Semester hat er für montags von 11 bis 13 Uhr seine Vorlesung zur „Theorie und Praxis der Außenpolitik“ angekündigt. Es liegt nahe, einen solch profilierten Vertreter des „Establishments“, der zugleich ehemaliger Ordinarius ist, zunächst aufzufordern, das Notstandsmanifest zu unterschreiben und ihn anschließend nach Verweigern der Unterschrift aufsehenerregend als „Notstandsminister“ unter Druck zu setzen.
Das Flugblatt des SDS vom 17. November 1967 bereitet das go-in vor
Die Position des SDS ist aggressiv und eindeutig: Wissenschaft, die sich den politischen Kämpfen der Zeit autoritär gegenüberstelle gebe ihr Prinzip humanitärer Rationalität auf. Carlo Schmid sei eine solche Person, die nicht „humanitär rational“ handle. Er plädiere als Bundestagsabgeordneter und als Bundesratsminister für die Verabschiedung der Notstandsgesetze. Als Professor der Politik doziere er den Studenten Demokratie, als Minister der großen Koalition praktiziere er hingegen den Notstand der Demokratie. Deswegen rufe der SDS zu einem go-in in seiner Vorlesung am 20. November, die im Hörsaal VI stattfinde, auf. Dort werde man ihn zur Rede stellen.
Die Warnung des Rektors vom 19. November 1967:
Sein Vorwurf der Einübung faschistischer Terrormethoden
In einem Schreiben an des Frankfurter SDS vom 19. November 1967 warnt er unter Bezugnahme auf dessen Flugblatt vom 17. November 1967 vor der Einübung faschistischer Terrormethoden
Die Doppelrolle Carlo Schmids: Lehrender und Bundesminister
Die bezeichnete Lehrveranstaltung eignet sich hervorragend für eine solche Aktion, denn überregionales Aufsehen können die Initiatoren erwarten: Carlo Schmid ist nämlich seit dem 1. Dezember 1966 Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder im Kabinett der großen Koalition.
Carlo Schmid äußert sich hierzu in seinen Erinnerungen:
„Obwohl ich nun siebzig Jahre alt wurde, waren Willy Brandt und Herbert Wehner der Meinung, daß mein Name auf einer Kabinettsliste, an der zum erstenmal seit Gründung der Bundesrepublik Sozialdemokraten beteiligt waren ,nicht fehlen dürfe. Ich zögerte, doch sie faßten mich beim Portepee, und so kam ich ihrer Bitte nach.“
In: Schmid, Carlo: Erinnerungen, aaO, S.793
Die Aktion vom 20. November 1967
In einem Artikel vom 21. November 1967 berichtet die FAZ im Detail über das Bemühen Rüeggs die angekündigte Störung der Vorlesung zu verhindern und über den teilweisen Erfolg des SDS:
671121-FAZ-Vorlesungsstoerung-Carlo-SchmidDie Reaktion des SDS mit einem Flugblatt vom 21. November 1967
Der Rektor kündigt Strafanzeigen an und informiert über die einstweilige Suspendierung des SDS als Hochschulgruppe
Der offene Brief des SDS vom 23. November 1967 wegen des Vorwurfs
der Einübung faschistischer Terrormethoden
Der SDS ruft am 24. November 1967 zu einem teach-in auf:
Diskussion der Hochschulreform mit Rüegg
Der AStA schaltet sich am 24. November 1967 mit einer Resolution ein
und fordert die Aufhebung der Suspendierung des SDS
Am 27. November 1967 reagiert der AStA durch Streeck
mit einer weiteren Stellungnahme auf das go-in bei Carlo Schmid und die Reaktionen des Rektors
671127_flugblatt_studentenparlament_resolution-gegen-npd
17 Wissenschaftliche Mitarbeiter nehmen Stellung zum Faschismusvorwurf des Rektors
671127_flugblatt_soziologie-assistenten_wegen-go-in-vorlesung-carlo-schmidtDie Naturwissenschaftliche Fakultät übernimmt den Faschismus-Vorwurf des Rektors
Der SDS protestiert gegen seine Suspendierung
Die KPD unterstützt den SDS
Erst am 2. Dezember 1968
legt die Oberstaatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt
wegen der Beteiligung am Carlo Schmid-Go-In Anklage
Die Anklage richtet sich gegen 11 Personen:
- Ronny Benno Loewy
- Frank Friedrich Wolff
- Hans-Jürgen Gerhard Krahl
- Burkhard Blüm
- Arno Grieger
- Kurt Ferdinand Trautmann
- Udo Riechmann
- Klaus-Dieter Katarski
- Heinz Düx
- Gotthard Jürgen Bechmann
- Roland Pankiewicz
Am 27. März 1969
lehnt die 12. Kammer des Landgerichts Frankfurt
die Eröffnung des strafrechtlichen Hauptverfahrens ab
690327_ablehnung_carlo_schmid_lg
Carlo Schmid berichtet rückschauend über die damaligen Frankfurter Ereignisse
„Der Sozialistische Deutsche Studentenbund der Universität Frankfurt forderte mich zur Unterschrift unter ein Manifest gegen die Notstandsgesetzgebung auf. Ich lehnte ab, da ich eine, den Verhältnissen der Bundesrepublik angepaßte, einem sozialen Rechtsstaat gemäße Notstandsgesetzgebung für notwendig halte. Für die radikalen Gruppen der Frankfurter Studenten war ich damit der „Notstandsprofessor“ geworden und somit als Faschist ausgewiesen. Besorgte Kollegen baten mich, einzulenken und so der Universität und mir Ärger zu ersparen. Ich bedankte mich für die kollegiale Fürsorge: Den Ärger werde ich und wird auch die Universität, die den Namen Goethes trägt, aushalten können; ich aber nicht den Selbstvorwurf, um ungeschoren zu bleiben und die Universität ungeschoren zu lassen, ein Manifest unterschrieben zu haben, das ich nach Inhalt und Form mißbillige.“
Schmid, Carlo: Erinnerungen, aaO, S.812
671120_flugblatt_sds_politische-zensur
Fetscher über seinen Kollegen
Fetscher äußert sich über seinen Kollegen ausgesprochen kritisch:
„Er war ein faszinierender Redner, aber keine große Erleichterung bei der Ausbildung der Studenten, da er im wesentlichen Veranstaltungen anbot, die in den Bereich der Geschichte der politischen Theorien gehörten, insbesondere Macchiavelli (seine Lieblingsvorlesung). Gerade denjenigen Teil der Politikwissenschaften, für den er aufgrund seiner Tätigkeit im Parlament und in der Regierung besonders qualifiziert gewesen wäre, nahm er mir leider nicht ab. Auch über seine Pionierleistung, die Herbeiführung der deutsch-polnischen Versöhnung, hätte er reden können. Er hatte aber eine historisch-ästhetische, keine prasixsnahe Vorstellung von Politikwissenschaften. Das war schade, weil der Vorteil eines aktiven Politikers auf einem solchen Lehrstuhl damit nicht genügend genutzt wurde. Carlo Schmid selbst allerdings fand besondere Freude daran, an der Universität einmal nicht mit der unmittelbaren politischen Routine konfrontiert zu werden. Seine Haltung erschwerte es ihm, während der Studentenrevolte zu einer Verständigung zu gelangen.“
In: Schefold, Bertram (Hrsg.), Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Frankfurt am Main, Metropolis Verlag 1989, S. 223
Flugblätter zur Aktion gegen Carlo Schmid
671117 | SDS | Aufruf go in – Vorlesung Carlo Schmidt | Flugblatt |
671121 | SDS | Aufruf zur Selbstanzeige wegen Go In Carlo Schmidt; Rektor probt Notstand | Flugblatt |
671124 | SDS | Aufruf gegen Suspendierung des SDS FFM | Flugblatt |
671127 | SDS | Aufruf Teach In gegen Uni-Administration | Flugblatt |
671127 | Assistenten Soziologie | Wegen go in Vorlesung Carlo Schmidt | Flugblatt |
671128 | KPD | Gegen Suspendierung SDS FFM | Flugblatt |
671130 | SDS | Gegen Ordnungsrecht | Flugblatt |
671205 | Rektor | Aufruf-Gegen Gewalt | Flugblatt |
671207 | SDS | Brecht die Diktatur der Ordinarien | FlugblattIn |
671213 | RCDS | Gegen SDS | Flugblatt |
671213 | SDS | Teach In- Demokratisierung der Universität | Flugblatt |
671213 | Anonym | Wegen go in Vorlesung Carlo Schmidt | Flugblatt |
671218 | Rektor | Aufruf-An Alle-Gegen Unsachlichkeit und Unwahrhaftigkeit | Flugblatt |
671218 | Rektor | Aufruf-Für sachliche Information und Diskussion. | Flugblatt |
671219 | SDS | Gegen Denunziation wegen Beteiligung an go in Vorlesung Carlo Schmidt | Flugblatt |
671219 | H.H.Hirsch | Gegen SDS-wegen Intoleranz | Flugblatt |