Die Rektoratsbesetzung:
Am 27. Mai 1968 wird das Rektorat besetzt und drei Tage später – am 30. Mai 1968 – polizeilich geräumt.
Die Chronologie
- Mittwoch, 15. Mai 1968 und Donnerstag 16. Mai 1968: 2. Lesung Notstandsgesetz
- Montag, 27. Mai 1968: Beginn Besetzung des Rektorats
- Dienstag, 28. Mai 1968: Besetzung des Rektorats
- Mittwoch, 29. Mai 1968: 3. Lesung Notstandsgesetz und Besetzung des Rektorats
- Donnerstag, 30. Mai 1968: Fortsetzung 3. Lesung Notstandsgesetz und polizeiliche Räumung des Rektorats
Aufruf zum Generalstreik
Am 27. Mai 1968 ruft Hans-Jürgen Birkholz als AStA-Vorsitzender zum Generalstreik auf
„Ich streike, Du streikst, Generalstreik!“
In diesem an die Studentenschaft, die Arbeiter, die Gewerkschaften und die SPD gerichteten Aufruf wendet sich Birkholz alarmierend gegen das „Ermächtigungsgesetz„: Nach der Verabschiedung des Gesetzes werden angeblich an die Stelle von Arbeits- und Lernfreiheit die Arbeitsdienstverpflichtung und der Lernzwang treten. Um dies zu verhindern müsse in den Betrieben, den Universitäten und Hochschulen der „Produktionsbetrieb“ am 27. Mai und in der laufenden Woche unterbrochen werden.
Drohend wird angekündigt: „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will!„
Dieses Flugblatt löst verschiedene Aktionen aus, die am selben Tag in der Rektoratsbesetzung kumulieren.
Aufruf „Besetzung der Universität“
Auch ein Streikkomitee ruft am 27. Mai 1968 zur Besetzung der Universität auf:
In diesem Zusammenhang ist zu beachten: Birkholz ist als AStA-Vorsitzender zugleich im sogenannten Streikkomitee aktiv, das HSU, LSD, SDS und SHB gemeinsam bilden. Sitz dieses Aktionszentrums ist das Studentenhaus in der Jügelstraße. Dieses Komitee ruft parallel zum AStA nicht nur allgemein zum Generalstreik auf, sondern in einem Flugblatt vom selben Tag geht es nun konkret um die Besetzung der gesamten Universität:
„Rektor Rüegg und der Senat haben beschlossen, sämtliche Lehrveranstaltungen und Prüfungen in dieser Woche ausfallen zu lassen. Da sie den Lehrbetrieb, der die politische Situation ignoriert, nicht aufrechterhalten können, schicken sie die Notstandsgegner in Urlaub. Sie wollen dadurch verhindern, daß die Universität Organisationsbasis des praktischen Widerstands gegen die Notstandsdiktatur bleibt. Der autoritäre Verwaltungsbeschluß soll der wachsenden Solidarisierung unter den Studenten, Assistenten und Professoren, die sich am letzten Streiktag abzeichnete, die Grundlagen entziehen. Unser Widerstand soll sich totlaufen. HSU, LSD, SDS, SHB und andere politisch bewußte Studenten rufen daher mit dem Streikkomitee dazu auf, den politischen Streik als Besetzung der Universität fortzuführen.„
Flugblatt vom Montag, den 27. Mai 1968
Die Besetzer des Rektorats
Der Aufruf des Rats der Nichthabilitierten
Der Rat der Nichthabilitierten ruft am 29. Mai 1968 zum Schutz der Universität auf:
680529_Flugblatt_Rat-der-Nichthabilitierten_Aufruf-Schutz-der-UniversitaetDas Flugblatt des Streikkomitees vom 29. Mai 1968
680529_Flugblatt_Streikkomitee-der-Universitaet_Streikaufruf„Ein Happening im Rektorat!
680529-Neue-Presse-Happening-im-RektoratDer folgende Bericht beschreibt im Detail die Ereignisse am 29. Mai 1968
Hiernach ist Krahl der Anführer der Aktionen, unterstützt von den SDS-Genossen Bluem, Riechmann, Amendt, Loewy und Trautmann. Hilfe erhalten sie von den SHB-Mitgliedern Streeck und Klein.
680529-Bericht-Roth-RektoratsbesetzungDer LSD ruft am selben Tag dazu auf, die Rektoratsbesetzung zu beenden
680529_Flugblatt_LSD_Aufruf-Rektoratsbesetzung-beendenAm Folgetag meldet sich der ADS mit einem Flugblatt zu Wort
680530_Flugblatt_ADS_Aufruf-gegem-Chaos-in-der-UniversitaetDie polizeiliche Räumung des Rektorats
In einem Protokoll vom 5. Juni 1968 schildert Ruth Meyer, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Seminar für Gesellschaftslehre, in der Rückschau die Stunden, die der polizeilichen Räumung am 30. Mai 1968 vorangehen:
680605-Bericht-Meyer-RektoratsbesetzungDie Beendigung der Rektoratsbesetzung
Am 30. Mai 1968 gegen 08:30 Uhr trifft die vom Rektor zur Hilfe gerufenen Polizei in den Rektoratsräumen ein. Sie befinden sich in einem verwüsteten Zustand, sind verschmutzt und in einem chaotischen Zustand. Aus den Schränken herausgerissene Professorenroben liegen auf dem vollgekotzten Teppichboden. Die Wände sind mit Parolen beschmiert. Zerfledderte Akten liegen verstreut herum. Schränke sind aufgebrochen.
680530-Fernschreiben-Panitz-RektroratsraeumungDer Bericht des nächtlichen Wachdienstes
Der Angestellte des Wach- und Sicherheitsdienstes bestätigt: Krahl befindet sich auch in dieser Nacht Bier saufend in den Räumen. KD Wolff und Frank Wolff beehren die Besatzer mit ihrem Besuch.
680530-Protokoll-Wachdienst-RektoratsbesetzungBilder nach der Rektoratsbesetzung
Die AStA-Reaktion
In einem Schreiben vom 30. Mai 1968, das Birkholz als AStA-Vorsitzender an den Rektor und die Landesregierung richtet, reagiert er für die Studentenschaft apodiktisch auf die polizeiliche Räumung des Rektorats. Allerdings verzichtet er darauf, klarzustellen, ob er die Rektoratsbesetzung begrüßt oder ablehnt:
„Die vor der Universität versammelte Studentenschaft stellt mit Mehrheit die folgenden Forderungen auf:
- Die Universität wird aufgefordert, sofort alle Disziplinarakten offenzulegen
- Die Universität wird aufgefordert, sofort alle Strafakten offenzulegen
- Die Universität wird aufgefordert, die Prüfungsakten offenzulegen
- Rektor, Senat und Fakultäten werden aufgefordert, ab sofort in Zukunft die Prüfungen öffentlich zu gestalten
- Die Studentenschaft fordert Landesregierung und Universität auf, die Polizei bis 15:00 Uhr aus der Universität abzuziehen
- Die Studentenschaft fordert, daß Rektor Rüegg vor der Studentenschaft Stellung zu seinem nächtlichen Bericht nimmt.
- Die Studenten fordern Rektorat, Senat und Landesregierung auf, zu garantieren, daß die Vorlesungen und Seminare weitergeführt werden können und daß vom 30. Mai 1968 bis 2. Juni 1968 der Widerstandskongress in den Räumen der Universität stattfindet.
Der Brief geht mit gleichem Wortlaut an die Landesregierung.
gez. Hans Jürgen Birkholz – Vorsitzender des AStA.“
Der Rektor meldet sich zu Wort
Am 31. Mai 1968 meldet sich der Rektor zu Wort
680530-Mitteilung-Rektor-PolizeieinsatzEin Rektorzimmer vollzukotzen ist kein revolutionärer Akt!
Unter dem Titel „Freiheit, die sie meinen“ kommentiert Horst Köpke in der Frankfurter Rundschau vom 31. Mai 1968 bissig die Besetzungsaktion des SDS unter Führung Krahls:
„Das Stück, das gegenwärtig in deutschen Universitäten, in Versammlungssälen, in Theatern und auf Straßen gespielt wird, heißt doch wohl: Demonstration der Aussichten, was aus der Freiheit wird, wenn Hans Jürgen Krahl und Genossen darüber zu bestimmen haben, was geredet und gedruckt wird. [….] Frahl und Genossen verlangen von anderen, sie sollten sich rechtfertigen. Eher sollten sie sich selber rechtfertigen dafür, dass sie die außerparlamentarische Opposition gespalten haben. Sie begann als radikaldemokratische Bewegung. Doch dann wurden ihr Sozialismus, Marxismus, Marcusianismus, Guevarismus aufgepropft. Für seine Auffassungen sind keine breiten Mehrheiten zu bekommen. Erreicht wurde bisher nur, daß die unter Druck endlich in Angriff genommenen Reformen stagnieren. […] Es ist ganz offenkundig, daß der SDS nicht mehr in der Lage ist, die antiautoritäre Bewegung anzuführen. Er hat nur allzuoft bewiesen, daß er, genauso wie die Recht, der Mehrheit seinen Willen aufzwingen möchte, wenn er sie nicht überzeugen kann..“
680531-FR-Freiheit-die-sie-meinen-SDS