Ludwig von Friedeburg

* 21. Mai 1924 in Wilhelmshaven † 17. Mai 2010 in Frankfurt am Main.
Seit 1966 ist er Direktor des Instituts für Sozialforschung und des zugeordneten Universitätsseminars in der Myliusstraße 30 zusammen mit Adorno und Habermas. Er ist von Oktober 1969 bis Dezember 1974 als SPD-Mitglied hessischer Kultusminister unter Ministerpräsident Albert Osswald.
Siehe auch Nachlass von Friedeburg Archiv Universitätsbibliothek J.C, Senckenberg.

Ludwig von Friedeburg Studentenbewegung

Die Vorgeschichte des Wissenschaftlers „von Friedeburg“

Ursprünglich will von Friedeburg, der in einer Familie mit nationalsozialistischer Überzeugung aufwächst – sein Vater ist ab 1943 Kommandierender Admiral der deutschen Unterseeboote – Chemiker werden. Dann beginnt der Krieg. Er wird stattdessen U-Bootkommandant. Nach der Kapitulation landet er auf Umwegen in einem Studium der Psychologie und beginnt auf diesem Gebiet seine Karriere, die ihn schließlich in das Institut für Sozialforschung und die Universität führt.
Siehe hierzu im Detail das Gespräch mit Ludwig von Friedeburg, das er noch kurz vor seinem Tod geführt hat. „Es war die enge Freundschaft und Solidarität mit Adorno, die meine Grundbeziehung zum Institut für Sozialforschung bestimmte.“ In Soziologie in Frankfurt. Eine Zwischenbilanz. Herausgegeben von Felicia Herrschaft und Klaus Lichtblau, 1. Auflage, 2010, Seite 307 ff.

Siehe auch „Hessische Biografie – Werdegang:

  • Marieneoffizier
  • 1944 jüngster deutscher U-Boot-Kommandant
  • 1.5.1945 Kapitän auf dem neuen deutschen U-Boot U 4710, aber keine Ausfahrt mehr
  • 1945-1947 Kriegsgefangenschaft
  • 1947-1951 studiert Mathematik, Physik, dann Psychologie, Philosophie, Soziologie in Kiel und Freiburg im Breisgau
  • 1951 Dipl.-Psychologe, Gastsemester in Salzburg und Harvard
  • 1952 Dr. phil. Freiburg im Breisgau, „Die Umfrage als Instrument der Sozialwissenschaften“
  • 1951 Mitarbeiter am Institut für Demoskopie Allensbach
  • 1955 Abteilungsleiter des Instituts für Sozialforschung
  • 1960 Habilitation
  • 1962 Professor für Soziologie und Direktor des Instituts für Soziologie an der Freien Universität Berlin
  • 1966 einer der Direktoren des Instituts für Sozialforschung, 1975-2001 dessen geschäftsführender Direktor
  • 1969 Mitglied der SPD
  • 1969-1974 Hessischer Kultusminister
  • 1970 Beschluss zur Errichtung der Integrierten Gesamthochschule Kassel
  • 1972/73 Vorlage der Hessischen Rahmenrichtlinien
  • 1974 Scheitern seiner schulpolitischen Forderungen

Die Rolle von Friedeburg im Verlauf der Auseinandersetzungen

Von Friedeburg wird wegen seines Verhaltens im Vordiplomprüfungsstreit massiv angegangen. Einer seiner unmittelbaren Kontrahenten ist Cohn Bendit, der am 12. April 1969 in dessen Vorlesung auftritt.

„So ein reaktionäres Schwein wie Sie habe ich noch nie erlebt…, man sollte Sie kastrieren,

schreit er ihm entgegen. Am Otto – Suhr – Institut in Berlin habe man auch kollektiv Prüfungen schreiben können. Die Prüfungsordnung selbst enthalte keinen Passus, der eine solche Vorgehensweise verbiete. Was in Berlin möglich sei, müsse auch in Frankfurt gehen. Von Friedeburg läßt sich nicht provozieren, schmunzelt nur und bedankt sich. Etwa eineinhalb Stunden laufen die Diskussionen, ohne daß es  ihm nach Meinung der Versammelten gelingt, darzulegen warum er gegen kollektiv geschriebene Prüfungen ist. In einer zu Beginn der angesetzten Vordiplomprüfung verlesenen Resolution, die von den zusammen mit einigen anderen Studenten (AStA – Vorsitzender Hartmann, Cohn-Bendit u. a.) erschienenen Vordiplomanden mit beifälligem Klopfen und nur gelegentlichem Zischen aufgenommen wird, hat man den Aufschub des Prüfungstermins, eine Änderung des Bewertungsmodus (die letzte kollektiv geschriebene Klausur war von dem Prüfungsausschuß als ’nicht ausreichend‘ bezeichnet worden) und eine Änderung der mündlichen Prüfung gefordert. – Nur eine Diskussion zwischen Professoren, Assistenten und Studenten über „kollektiv angefertigte papers“ könne „als Form der mündlichen Prüfung sinnvoll“ sein. – Nach eineinhalb Stunden fordert schließlich Friedeburg diejenigen, die „individuell“ schreiben wollen, auf, in einen gesonderten Hörsaal zu gehen. Als sich eine kleine Gruppe mit dem Jungsozialisten Wolfgang Streeck („dem Kollaborateur mit der Ratte Friedeburg“) an der Spitze daranmacht, dieser Forderung nachzukommen, marschieren auch die „Kollektivschreiber“ mit anderen Linksgenossen in den neuen Hörsaal. – Friedeburg fordert diese dort auf, hinauszugehen. Als dies nicht geschieht, erklärt er: „Damit betrachte ich die Vordiplomklausur offensichtlich als gesprengt“ und verläßt zusammen mit seinen Assistenten den Hörsaal. – Die „Kollektivschreiber“ diskutieren später weiter, was zu tun sei, wenn die erneut angesetzte Prüfung unter Polizeischutz stattfinden sollte. Cohn – Bendit: „Vielleicht sollte man dann über das Thema: Das Verhalten der Polizei in der Gesellschaft schreiben lassen“. Direkt befragt, ob er einen Polizeieinsatz beim nächsten Prüfungstermin erwäge, schweigt Friedeburg.“

[1] Frankfurter Neue Presse vom 13. April 1969, „Neue Wege der Hochschulreform? – Daniel Cohn – Bendit will Professor entmannen“

von Friedeburg wird Kultusminister

Friedeburg beauftragt als Kultusminister im Mai 1970 seinen Freund Denninger, die Geschäfte des Rektors wahrzunehmen

Anmerkung Riehn

Es ist unübersehbar: Auch innerhalb der Professorenschaft sowie zur Landesregierung bilden sich Fronten heraus, die künftige hochschulpolitische Entwicklungen vorbereiten und bestimmte Meinungsführer hervortreten lassen. Hier liegen unter anderem die Wurzeln, weswegen im Jahre 1970 Denninger und Wiethölter bereit sind, kommissarisch die Hochschulleitung zu übernehmen und Denninger anschließend vorübergehend sogar Leiter der Hochschulabteilung des Hessischen Kultusministeriums wird. In Fortführung ihrer vorherigen Reforminitiativen übernehmen sie damit, wenn auch nur für eine relativ kurze Zeitspanne, in der kritischen Phase der Umsetzung der neuen Hochschulgesetze wichtige Schlüsselpositionen.

Der Briefwechsel zwischen Adorno und von Friedeburg erschienen im April 2024

Siehe die Besprechung in der FAZ vom 19. Juli 2024:

Lieber Teddie, die Bar ist nicht mehr so reizend.
Zuletzt kamen die gemeinsamen Erfahrungen mit der studentischen Neuen Linken: Der Briefwechsel zwischen Theodor W. Adorno und Ludwig von Friedeburg

Zeilen, die im Glauben geschrieben sind, nie veröffentlicht zu werden, lassen oft tiefer in das Wesen ihrer Verfasser blicken als solche, die sich an ein Publikum richten. „Ich kann diese Sache nur machen, wenn ich schreiben kann, wie mir der Schnabel gewachsen ist, und der singt nun einmal nicht den Jargon der Eigentlichkeit“, schreibt Theodor W. Adorno 1964 an Ludwig von Friedeburg. Wenn es um seine Sprache geht, war Adorno pedantisch, freilich nicht ohne dass die Pedanterie selbst Programm hatte. Von Friedeburg, der zu diesem Zeitpunkt Professor für Soziologie in Berlin war, hatte seinen einstigen Lehrer und späteren Freund gebeten, für das Evangelische Staatslexikon über den Begriff „Gesellschaft“ zu schreiben. Doch als Adorno das Merkblatt zum Verfassen des Beitrags sieht, ist er von der Aufforderung zur Allgemeinverständlichkeit und der Ermahnung, möglichst wenige Fremdwörter zu nutzen, dermaßen „erschreckt“, wie er schreibt, dass er von Friedeburg noch einmal nachdrücklich auf die Bedingungen hinweist, unter denen er den Beitrag überhaupt bearbeiten will. „Unbedingt notwendig wäre es auch, daß ich ganz sicher bin, daß mein Beitrag weder Änderungen noch Kürzungen erfährt.“ Schon in einem vorausgegangenen Brief hatte Adorno angekündigt, dass er keinen bibliographischen Aufsatz schreiben werde, der die verschiedenen Begriffe von Gesellschaft referiert. Gretel, seine Frau, nenne diese Tätigkeit „Müllen“ – und für „Müllarbeit“ habe er keine Zeit. Die Passagen sind Teil des nun veröffentlichten Briefwechsels zwischen Adorno und von Friedeburg, den Dirk Braunstein und Maischa Gelhard im Auftrag des Frankfurter Instituts für Sozialforschung (IfS) in aufwendiger Recherche zusammengetragen haben. Ein umfangreicher Fundus ergänzender Dokumente und Erläuterungen ist der Korrespondenz beigefügt. Der Schriftverkehr zeichnet neben dem Einblick, den er in den Neubeginn der Soziologie in Deutschland nach der Hitlerdiktatur gibt, das Bild einer sich vertiefenden, wenn auch unwahrscheinlichen Freundschaft zweier der wichtigsten Theoretiker der Kritischen Theorie. Adorno, der während des Nationalsozialismus als „Halbjude“ ins amerikanische Exil floh, kehrte 1949 nach Deutschland an das in Frankfurt neu eingerichtete IfS zurück. Ludwig von Friedeburg hingegen, 21 Jahre jünger als Adorno, trat mit zwölf Jahren der Hitlerjugend bei und schlug vier Jahre später freiwillig eine militärische Laufbahn ein. 1942 – das Jahr, in dem Adorno und Max Horkheimer ihre Arbeit an der „Dialektik der Aufklärung“ beginnen – jubelt von Friedeburg Hitler im Sportpalast zu; zum Ende des Zweiten Weltkrieges ist er jüngster Kommandant eines deutschen U-Boots. Während sein Vater, Kommandierender Admiral der deutschen Kriegsmarine, die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht mitunterzeichnet und anschließend in englischer Kriegsgefangenschaft den Tod wählt, entgeht Ludwig von Friedeburg der Gefangenschaft, indem er für zwei Jahre auf einem englischen Minensuchboot fährt. Erst danach holt er sein ordentliches Abitur nach und kann anschließend sein Studium aufnehmen. Als von Friedeburg im November 1950 zum ersten Mal an Adorno schreibt, ist er Student der Psychologie, Soziologie und Philosophie in Freiburg und hatte bei einem Besuch in Frankfurt darauf gehofft, Adorno am Institut für Sozialforschung anzutreffen. Doch Adorno versetzt ihn. Stattdessen stellt von Friedeburg sich schriftlich vor – und eröffnet damit die Korrespondenz. Es tue ihm „unendlich leid“, dass sie einander versäumt hätten, lässt Adorno schon am darauffolgenden Tag wissen und versichert, dass er sonst „getroffene Vereinbarungen mit fanatischer Pünktlichkeit“ einhalte. Schon im Januar darauf beginnt von Friedeburg ein dreimonatiges Praktikum am Institut. Anschließend urteilt Adorno in einem Zeugnis hochlobend: „Er ist ohne Frage einer der Begabtesten aus dem deutschen Nachwuchs auf dem Gebiet der Sozialpsychologie.“ Bemerkenswert ist darüber hinaus Adornos Umgang mit der Vergangenheit von Friedeburg. Gegenüber dem amerikanischen Soziologen Leland C. DeVinney etwa, der 1951 zu Besuch in Frankfurt ist, spricht er über die lange Linie nationalistischer Admirale in dessen Familie, wendet sie überraschenderweise aber zum Vorteil in seiner Beurteilung. DeVinney notiert in seinem Arbeitstagebuch: Von Friedeburg sei „völlig frei von Nationalismus, zutiefst an der empirischen Sozialwissenschaft interessiert und von den amerikanischen Methoden und Werten angetan“. In einem späteren Gutachten Adornos heißt es: „Herr von Friedeburg gehört zu den sicherlich nicht eben Zahlreichen, die, in der spezifischen Atmosphäre der Hitler-Diktatur herangewachsen, aus wirklich innerer Kraft sich davon freigemacht haben.“ Und dass die „Qualitäten, die im Offiziersmilieu sich entwickelten, wie Loyalität, Pflichtbewusstsein und kollektives Verantwortungsgefühl“, bei von Friedeburg sich so gesteigert hätten, dass sie ihm „volle Emanzipation gestatteten“. Nach seinem Praktikum bleibt von Friedeburg dem IfS zeitlebens eng verbunden, wenn auch Ausbildung und Beruf ihn zeitweise immer wieder aus Frankfurt forttreiben. 1955 wechselt der mittlerweile promovierte von Friedeburg vom Allensbacher Institut für Demoskopie als Abteilungsleiter für empirische Sozialforschung ans IfS, verlässt es aber schon 1962 wieder, um einem Ruf als Professor für Soziologie an der Freien Universität in Berlin zu folgen. Am 7. August 1965 schickt von Friedeburg schließlich das einzige Telegramm in dieser Korrespondenz nach Sils-Maria, wo Adorno regelmäßig seine Ferien verbringt, und berichtet in aller Kürze: „RUF ERHALTEN HERZLICHE GRUESSE“. Gemeint ist der Ruf als Professor für Soziologie nach Frankfurt, dem er 1966 folgt; Adorno und Jürgen Habermas hatten sich für ihn eingesetzt. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Zeit der gemeinsamen Arbeit am Institut jene ist, in der die schriftliche Korrespondenz am dünnsten und bürokratischsten bleibt. Es geht unter anderem um Bescheinigungen für das Wohnungsamt, den Zugang zur Bibliothek, Gutachten für Kollegen – und Auflistungen darüber, welche Abschlussarbeiten von Friedeburg betreut. Sie geben Auskunft darüber, wie wenig akademisch der akademische Institutsalltag oft ist. Wie sehr Adorno von Friedeburgs Arbeit schätzte, zeigen auch dessen Anmerkungen zu Adornos Vortrag „Theorie der Halbbildung“ auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 1959. Von Friedeburg tritt ein Jahr vor seiner Habilitation zunehmend forsch gegenüber seinem älteren Kollegen auf. Es gelte, einen neuen Bildungsbegriff zu formulieren, kommentiert er Adornos Text oder kritisiert an anderer Stelle, dass der Zusammenhang zwischen der Entfaltung der Produktivkräfte und dem Niedergang der Bildung „etwas vermittelter zu sein“ scheint, als ihn Adorno darstellt. Adorno wiederum übernimmt mit wenigen Änderungen von Friedeburgs Vorschläge. Erste freundschaftliche Zwischentöne sind bereits 1955 herauszuhören, als Adorno von Friedeburg wieder einmal aus dem Urlaub in Sils-Maria einen herzlichen Dank für eine Ansichtskarte ausrichtet und sogleich aufträgt: „Nun spannen Sie wirklich aus und vergessen alles.“ „Lieber Teddie“, heißt es aber erst im Juni 1963, nachdem Adorno schon im Mai ihn das erste Mal mit „Lieber Ludwig“ adressiert hatte. So zeigen vor allem die Briefe und Karten aus den Ferien eine zunehmende persönliche Annäherung. Ob er mit Ellen, seiner Frau, schon die Number One Bar besucht hätte, will Adorno wissen, denn „so etwas ist in New York viel sehenswerter als Museen“. Doch von Friedeburg wiegelt ab, sie sei leider „nicht mehr so reizend“. Aufschlussreich ist nicht zuletzt die letzte Phase der Korrespondenz. Von Friedeburg hatte bereits während seiner Zeit in den USA wissen lassen, dass er sich für die studentische „Neue Linke“ interessiere, über die er schreibt: „Sie lesen Camus, Mills, Goodman, aber nicht Marcuse oder Marx.“ Als Adorno 1967 drei Fragen der F.A.Z. zu den Revolten in Deutschland beantwortet (und abermals eindringlich darauf besteht, dass nicht einmal an seiner Interpunktion gerüttelt werden darf), urteilt er noch, die Störungen universitärer Veranstaltungen seien Ausdruck des Bestrebens, „die vorwaltende Apathie zu durchbrechen“. Es waren in Frankfurt vor allem Schüler Adornos, die aus der Kritischen Theorie praktische Konsequenzen zu ziehen suchten. Doch bei aller Sympathie für die vorgebrachte Kritik an der „technokratischen Hochschulreform“, wie Adorno, von Friedeburg und Habermas Ende 1968 in einer gemeinsamen Erklärung formulieren, weisen sie die „Pseudo-Aktivität“ der studentischen Bewegung zurück.Als 1969 schließlich eine Gruppe von Studenten, angeführt von Adornos Promotionsstudent Hans-Jürgen Krahl, in das IfS eindringt und von Friedeburg im Beisein Adornos anherrscht, er solle die Klappe halten, sieht Adorno sich gezwungen, „in einem flagranten Fall von Hausfriedensbruch“ die Polizei zu rufen und Strafantrag gegen seinen Schüler zu stellen. Eine Erfahrung, die sein Selbstverständnis empfindlich gestört haben dürfte. Am Tag nach der Gerichtsverhandlung gegen Krahl bricht Adorno zum Sommerurlaub in der Schweiz auf – und verstirbt dort an einem Herzinfarkt. Seinen Posten als Geschäftsführender Direktor des Instituts für Sozialforschung – und kurze Zeit später übrigens auch den des hessischen Kultusministers – übernahm Ludwig von Friedeburg. Kira Kramer